Politik basiert auf Menschenwürde

Lilian Studer, Grossrätin/Fraktionspräsidentin

Menschen würdigen heisst für mich, den Respekt gegenüber jedem einzelnen wahren und sie ernst nehmen, damit sie sich entfalten und in Würde leben können. Die Schweiz hat diesbezüglich die besten Voraussetzungen, wenn man bedenkt, dass das Wohlergehen in unserem Land im Vergleich zu anderen Ländern sehr gut ist. Auch die Entfaltung jedes einzelnen Menschen und seines Potenzials hat grundsätzlich hohe Priorität und unser Land bietet dafür viele Möglichkeiten. Dies weiter hoch zu halten ist mir wichtig, zum Beispiel die Investition in gute und vielseitige Schulbildungen sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Trotzdem müssen wir auf den Wert Menschenwürde vermehrt unser Augenmerk legen. Er muss wieder bewussteren Eingang in politische Entscheidungen erhalten. Folgende brisante Beispiele zeigen auf, warum:

Menschenhandel und Ausbeutung in der Schweiz
Auch in der Schweiz werden Menschen zu Menschenware, u.a. gehandelt, um ihren Körper für Sex zu verkaufen. Oder sie werden in Abhängigkeit gehalten, damit ihre Arbeitskraft ausgebeutet werden kann. Die Schweiz ist für diese Ausbeutung noch immer ein Low-Risk-Geschäft. Menschenhandel darf es grundsätzlich nicht geben. In der Schweiz sollte er deshalb als brutales Verbrechen gegen die Menschenwürde geahndet werden.

Asyldebatte und die Flüchtlingsströme
Die tiefe Betroffenheit und die Realität von Krieg, Terror, Menschenhandel sowie den grossen Flüchtlingsströmen lassen aufhorchen. Ebenso die negativen Stimmen und die im vergangenen Jahr oft zu hörenden pauschalen Vorwürfen eines angeblichen Asylchaos in der Schweiz. Die damit verbundenen wenig konstruktiven Debatten schürten zusätzlich Angst und Respektlosigkeit.

Betagte, Behinderte und Schwächere
Insbesondere für Betagte, Behinderte und Schwächere stehe ich und stehen wir alle zusätzlich in der Verantwortung. Etwa in Bezug auf selbstbestimmte Wohnformen für Behinderte hinken Gesetzgebung und Umsetzung immer noch hinterher. Armut, gerade bei Kindern, existiert auch in der Schweiz und müsste in unserem Land nicht sein. Die Möglichkeiten von Palliative Care für Personen mit einer lebensbedrohlichen Krankheit haben zwar stark zugenommen. Es braucht jedoch einen weiteren Effort zumal die Finanzierung noch immer nicht geklärt ist. Sozialhilfeempfänger/-innen laufen vermehrt Gefahr, von Anfang an als «schwarze Schafe» abgestempelt zu werden. Dieser Generalverdacht ist für die vielen aufrichtigen Menschen entwürdigend.